Betroffene
Babys
Die ersten Monate können sie als "Schreibabys" auffallen. Sensibilitäten in Bezug auf Geräusche oder Berührungen treten erstmals auf. So kann etwa nur das Geräusch des Lichtschalters das Baby aus dem Schlaf reißen, oder es möchte nicht krabbeln, weil es den Boden nicht berühren möchte. Generell können Schlafprobleme und ein geringes Schlafbedürfnis vorliegen. Gegen Ende des ersten Lebensjahres beginnt die Phase des Fremdelns, welches bei Asperger-Autismus-Betroffene-Babys extrem sein kann. Meist sind sie sehr auf die Mutter bezogen und brauchen stark ihre Nähe. Der Wunsch nach Körperkontakt kann reduziert sein. Wenn das Kind älter ist, holt es sich die Kuscheleinheiten nach seinem Bedürfnis.
Kinder
Mit einem Jahr beginnen Kinder mit dem Laufen. Betroffene Kinder brauchen meist eine gewisse Sicherheit. Falls sie beim Laufenlernen zum Beispiel hinfallen, verzögert dies die Entwicklung und sie hangeln sich die nächsten 6 Monate an Gegenständen entlang. Asperger-Autismus-Betroffene können die kleinsten Krümel auf dem Boden sehen, die dann weggeräumt werden müssen. Auch jetzt bestehen noch ein geringes Schlafbedürfnis und Durchschlafprobleme.
Auswärts schlafen ist meist nicht möglich. Bei Unsicherheiten klammern sie sich an Gegenstände und tragen diese stets bei sich, z. B. Kuscheltiere oder Lieblingsspielsachen. Auf dem Spielplatz beobachten sie andere Kinder, gehen aber nicht aktiv auf sie zu und spielen meist alleine. Das Interesse an anderen Kindern besteht durchaus, sie können aber nicht in Kontakt kommen oder tun dies in inadäquater Weise. Durch die hohe Sensibilität ihrer Sinne mögen sie es eventuell nicht mit Matsch zu spielen oder barfuß zu laufen. Auch Berührungen von Pflanzen beim Spaziergang lösen Angst aus. Manche reagieren empfindlich auf Gerüche. So darf die Mutter kein Parfüm tragen. Außerhalb von zu Hause ist die Gesichtsmimik reduziert und sie wirken gegenüber anderen Kindern oder Erwachsenen sehr schüchtern.
Mit zwei Jahren beginnen Kinder in ersten 3-Wort-Sätzen zu sprechen. Mit drei Jahren kann es Rückschritte in der Sprachentwicklung geben (Frühkindlicher Autismus), muss aber nicht. Die Eingewöhnung in den Kindergarten kann sehr langwierig sein. In der Einrichtung spielen sie oft für sich alleine oder sie sind zwar in der Gruppe, interagieren hier aber wenig mit anderen. Sie fallen durch ihre teilweise gestochene Sprache und ihr Fachwissen in ihrem Lieblingsthema auf. Sie können einen ausgeprägten Sortier- und Ordnungsdrang haben, sammeln auch gerne verschiedenste Dinge. So werden z. B. nur die Legosteine in einer bestimmten Farbe sortiert bzw. gesammelt.
Die Sprache wirkt oft monoton oder hat reduzierte Klangfarben und kann repetitiv sein. Betroffene Kinder wiederholen eventuell Sätze täglich in der gleichen Weise. Bei Unterbrechungen beginnen sie ihre Sätze von vorne (Frühkindlicher Autismus). Manche Kinder möchten im Spiel mit anderen bestimmen, es soll nur so gespielt werden, wie das Kind es möchte. Es regiert sehr unflexibel. Die Sauberkeitsentwicklung kann verzögert (gestört) sein.
Während sie mit ihren Spielsachen spielen, kann man beobachten, dass sie diese zwar anordnen, wie Autos oder Türme bauen, mit Puppen oder Figuren werden eher keine Alltagssituationen nachgespielt. Mit Geschwisterkindern können sie zum Beispiel einen Pferdehof aufbauen und dann Dialoge starten, ohne die Figuren zu bewegen.
Generell mögen betroffene Kinder einen wiederkehrenden Tagesablauf. Auf zeitliche (Reihenfolge) oder inhaltliche Veränderungen im Ablauf können sie schnell mit Angst und/oder Wut reagieren. Mit Eintritt in die Schule können sich die Probleme verschärfen, da das betroffene Kind nun Anforderungen ausgesetzt ist, die es in dieser Weise im Kindergartenalltag nicht hatte. Es kann zu Arbeitsverweigerungen kommen oder Klassenraumwechsel stellen eine besondere Herausforderung da. Auch bei Hausaufgaben gibt es Verweigerungen, da die Kinder argumentieren, dass sie bereits gestern Sätze abgeschrieben oder gerechnet haben und sie dies bereits können. Das Erzwingen von Leistungssteigerung durch Üben führt zu Krisen. In der Schule sind sie vielen Reizen ausgesetzt, die sie überlasten können. Der hohe Geräuschpegel kann zu einer Reizüberflutung führen, worauf das Kind mit Flucht, Aggressionen oder Verweigerungen reagieren kann. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass es anfängt, mit dem Fuß zu stampfen. Busfahren kann für das Kind sehr schwer oder unmöglich sein, da es hier vielen Reizen ausgesetzt ist oder es Angst hat, dass der Bus nicht an seiner Haltestelle hält.
Während man in der Grundschule meist wenig Lehrerwechsel hat, kann diese Zeit noch recht entspannt verlaufen. Der Wechsel in eine weiterführende Schule ist für diese Kinder noch gravierender als für neurotypische. Die Größe der Schule, die Massen an Schülern sowie häufiger Wechsel der Räume, Fächer und Lehrer lösen große Ängste aus. Da Betroffene eine Vorhersehbarkeit brauchen, verhindert ein Unterrichtsausfall, eine Stundenplanänderung oder ein Vertretungslehrer die Konzentrationsfähigkeit, die Ablaufroutine und erzeugt einen hohen Stressfaktor. Spätestens ab jetzt wird eine Unterstützung durch eine geschulte Fachkraft empfohlen.
Jugendliche
Während der Pubertät gibt es viele Veränderungen im körperlichen, geistigen, sozialen und emotionalen Bereich. Spätestens hier merken Betroffene, dass sie anders sind als andere. Sie werden vielleicht gemobbt und ausgeschlossen. Auch können sie die Small Talks von anderen kaum nachvollziehen und sich auch nicht daran beteiligen. Da sie gerne über Spezialinteressen reden und Probleme in der Kommunikation und Interaktion haben, bemerken sie nicht, dass andere sich nicht für ihre Themen interessieren. Jugendliche beginnen in dieser Zeit zusammen wegzugehen, sich in Discos oder Bars zu treffen. Dies fällt Asperger-Autisten aber schwer, da sie oft eine Sozialphobie haben und hier eine Überlastung der Sinne droht.
Es ist laut, überfüllt, möglicherweise wird auch noch geraucht. Zu solchen Treffen können Sie dann meist nicht kommen, oder sie brauchen hinterher 2 Tage, um sich von der Überreizung zu erholen. Da sie oftmals Probleme haben, die Gesichtsmimik zu deuten, zwischen den Zeilen zu lesen (Andeutungen und Umschreibungen richtig zu deuten), Ironie oder versteckte Signale zu verstehen, werden sie oft ausgeschlossen/ausgegrenzt. Sie ziehen sich in ihrem Zuhause zurück und werden mit der Zeit depressiv. Andere suchen sich ihre Sozialkontakte im Internet auf Spieleplattformen. Weibliche Jugendliche mit Asperger-Syndrom fallen in der Regel kaum auf, da sie sehr gut maskieren und Augenkontakt halten können. Es gibt aber auch Betroffene, die sich nicht für alles Mädchenhafte interessieren. Sie können nicht nachvollziehen, warum die Altersgenossinnen sich immer über Jungs oder Popstars unterhalten. Vielleicht haben sie auch kein Interesse an Mode und Make-Up.
Erwachsene
Während man in der Schulzeit klare Strukturen hatte, kommt nun wieder eine große Veränderung im Leben. Der Beginn einer Ausbildung oder eines Studiums führt oft zu Problemen, da die Anpassung an neue Strukturen zunächst vollzogen werden muss. Einige benötigen zeitweise Hilfe und Unterstützung in einer psychiatrischen Einrichtung. Viele Asperger-Betroffene fühlen sich in klar strukturierten Berufen wohl, wie z. B. öffentlicher Dienst und Verwaltung sowie MINT-Berufen. Klare Anordnungen, wenig soziale Interaktion, strukturierte und voraussehbare Arbeitsabläufe sind ideal für Asperger-Autisten.
Frauen mit dem Asperger-Syndrom neigen eher in den sozialen Bereich zu gehen. Sie opfern sich gerne auf. Sie bemerken ihre Überlastung lange Zeit nicht, bekommen körperliche Probleme und neigen zu Burn-outs und Depressionen. Innerhalb von Beziehungen und Ehen kann es Schwierigkeiten geben, wenn das Verhalten des Betroffenen weder entschuldigt noch verstanden wird – eine Diagnose kann viele Verhaltensweisen rückwirkend erklären und Verständnis erzeugen. Asperger-Autisten denken oft im Modus 1/0, Zwischenstationen gibt es nicht. Man kann nur in schwarz oder weiß denken, Grautöne gibt es nicht.
Oft arbeiten sie in ihrem Beruf bis zur Erschöpfung und brauchen dann Tage, um sich zu erholen. Der Körper- oder Sozialkontakt ist häufig bei einer Überreizung unerwünscht. Viele Partner Betroffener sind gekränkt und empfinden dies als Ablehnung ihrer Person. Viele Entscheidungen fallen schwer, man möchte immer das Perfekte wählen. Da es die Perfektion nicht gibt, kann sich der Entscheidungsprozess deutlicher länger hinausziehen und komplexer gestalten. Und selbst danach sind die Unzufriedenheit und der Zweifel groß, ob dies tatsächlich die richtige Entscheidung war.